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Kindergeld – sein eigentlicher Sinn und warum er verkannt wird

Sankt Augustin – Die große Koalition, sonst großzügig im Geldausgeben, knausert bei den Familien: Nur vier (2015) bzw. sechs Euro mehr (2016) soll es pro Monat und Kind geben. Die Bundesregierung selbst gibt zu, dass sie damit nicht mehr als das verfassungsrechtliche „Gebotene“ tut. Die Rechtslage ist klar: Der Staat darf das Existenzminimum von Kindern nicht besteuern. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seinen „Familienurteilen“ klargestellt. Deshalb gibt es Kinderfreibeträge. Von denen haben viele Eltern aber nichts, weil ihr Einkommen zu gering ist. Deshalb gibt es Kindergeld, das kein Almosen für Eltern ist, sondern eine Rückerstattung zu viel gezahlter Steuern [1].

Politiker haben damit ein Problem, denn sie wollen die Steuergelder behalten, um die Gesellschaft nach ihrem Willen „gestalten“ zu können. Ein dominantes Ziel maßgeblicher Sozialingenieure in der Politik ist der Wandel zu einer „Institutionenkindheit“, in der Kinder von klein auf in „öffentlicher Verantwortung“ aufwachsen. Es waren besonders die Familienministerinnen Renate Schmidt (SPD, 2002-2005) und Ursula von der Leyen (CDU, 2005-2009), die diesen Wandel vorantrieben. Der Ausbau der „U3-Kinderbetreuung“ war dabei nur ein – wenn auch wesentlicher Baustein – eines „Mainstreamings“ hin zum Leitbild der vollerwerbstätigen Mutter [2]. Dem Gesellschaftsumbau sekundierte die Wirtschaft, die junge Eltern als Arbeitskräftereserve begehrt. Aus dieser Sicht der Arbeitsmarktmobilisierung sind Steuerfreibeträge und das Kindergeld „Fehlanreize“, weil sie den Druck zur Erwerbstätigkeit beider Eltern verringern [3]. So betrachtet können Sozialleistungen eigentlich nicht niedrig genug sein, am besten gäbe es sie gar nicht. Dieser ökonomische Zynismus wird noch übertroffen von Politikern, die behaupten, dass Eltern Geldleistungen doch nur für Alkohol, Zigaretten oder „Flachbildschirme“ verschwenden würden.

Über Jahre wurde so gegen das Betreuungsgeld, aber auch gegen höheres Kindergeld agitiert. Dass auf diese Weise Ressentiments gegen sozial schwächere Familien geschürt wurden, hat auch Sozialdemokraten nicht gestört, die jetzt die Kindergelderhöhung als zu gering kritisieren. Die jahrelange Agitation brachte das Kindergeld politisch-medial in Verruf [4]. Dabei ist die Leistung „im Volk“ sehr beliebt, weil sie die Einkommenslage von Arbeitnehmern mit Kindern verbessert und, anders als Sachleistungen (Stichwort: Gutscheine), mehr Freiheit beim notwendigen Konsum einräumt. Vor allem Eltern mit zwei, drei und mehr Kindern in der Mittelschicht profitieren vom Kindergeld, das für sie ein relevanter Einkommensbestandteil ist. Viele Eltern mit niedrigem Einkommen schützt das Kindergeld sogar vor sozialem Abstieg: So würden ohne das Kindergeld mehr als 1,2 Millionen Familien in „Hartz-IV“ abrutschen, wie eine regierungsoffizielle „Gesamtevaluation“ der Familienleistungen ergeben hat [5].

Solche Befunde widerlegen das gängige Klischee, demzufolge Geldleistungen eine „ineffektive“ Form der Familienförderung seien. Der Irrtum liegt darin, dass der Zweck der Leistungen nicht verstanden wird. Dieser Zweck ist primär der verfassungsrechtlich gebotene Familienlastenausgleich. Eltern haben durch die Kindererziehung Lasten zu tragen, die kinderlose Bürger eben nicht haben. Denn Kinder kosten auch viel Geld: Schon im Jahr 2008 betrugen die Konsumausgaben in Paarhaushalten für ein Einzelkind im Durchschnitt 580 € und für zweite und dritte Kinder etwa 510 €. Natürlich unterscheiden sich die Ausgaben nach der Finanzkraft der Familien: Haushalte des obersten Dezils gaben durchschnittlich 900 € für ihr (Einzel)Kind aus, einkommensschwache Haushalte des unteren Dezils nur ca. 330 € [6]. Mit dem Kindergeld verdient also kein Bürger und kein Elternteil Geld – selbst in den einkommensschwachen Haushalten deckt es nur einen Teil der durch Kinder entstehenden Ausgaben ab. Weit über die Hälfte dieser Ausgaben entfällt auf den Grundbedarf an Ernährung, Kleidung sowie Wohnen und Energie. Kinder brauchen aber mehr, nicht zuletzt für Spiel, Unterhaltung und Bildung. Um den Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht zu werden, nehmen Mütter und Väter Wohlstandsverluste und Abstriche an ihrer eigenen Lebenshaltung hin [7]. Diese Verzichtsleistung anzuerkennen und wenigstens teilweise zu kompensieren, ist ein Gebot der Gerechtigkeit. Um die sollte es in der Familienpolitik gehen, nicht um die Konditionierung von Eltern auf ein bestimmtes Lebensmodell hin.

Veröffentlicht von:

Alexandra Rüsche
Alexandra Rüsche
Alexandra Rüsche gehört seit 2009 der Redaktion Finanzratgeber 24 an. Sie schreibt als Journalistin über aktuelle Finanzprodukte und gibt Hilfen bei der Suche nach seriösen Geldanlagen. Alexandra ist Mitglied im DPV (Deutscher Presse Verband - Verband für Journalisten e.V.). Sie ist über die Mailadresse der Redaktion erreichbar: redaktion@finanzratgeber24.de

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