Künstliche Intelligenz (KI) hat die Finanzbranche in den letzten Jahren tiefgreifend verändert – besonders im Bereich der Kreditvergabe. Banken und FinTechs setzen zunehmend auf automatisierte Entscheidungsprozesse, um Kreditanträge schneller und kosteneffizienter zu bearbeiten. Doch wo Maschinen entscheiden, steht eine zentrale Frage im Raum: Sind KI-Systeme in der Kreditvergabe tatsächlich objektiv – oder programmieren wir unbewusst Diskriminierung mit ein?
Warum KI in der Kreditvergabe eingesetzt wird
Der Einsatz von KI bei der Kreditvergabe verspricht zahlreiche Vorteile: Entscheidungen können in Sekundenschnelle getroffen werden, ohne dass ein Sachbearbeiter jeden Einzelfall manuell prüft. Zudem analysieren KI-Algorithmen weit mehr Datenpunkte als klassische Bonitätsmodelle – etwa Onlineverhalten, Zahlungsverhalten, Geodaten, oder sogar Smartphone-Nutzung. Ziel ist es, Risikoeinschätzungen zu präzisieren und Ausfallquoten zu senken.
Für Banken bedeutet das Effizienzsteigerung, für Kunden möglicherweise eine fairere Behandlung – zumindest auf den ersten Blick.
Die Theorie: KI als objektiver Entscheider
Im Idealfall trifft eine KI-gestützte Kreditentscheidung völlig neutral, da sie nicht von Emotionen, Vorurteilen oder subjektiven Eindrücken beeinflusst wird. Wenn zwei Personen identische Bonitätsdaten aufweisen, sollten sie – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Alter – dieselbe Kreditentscheidung erhalten.
So argumentieren viele Befürworter: KI sei nicht nur schneller, sondern auch fairer als der Mensch.
Die Realität: Wenn Algorithmen Vorurteile lernen
In der Praxis zeigt sich jedoch: KI ist nur so gut wie die Daten, mit denen sie trainiert wird. Und genau hier liegt das Risiko. Historische Kreditentscheidungen sind nicht immer frei von Vorurteilen – etwa gegenüber bestimmten Postleitzahlen, Beschäftigungsformen oder sozioökonomischen Gruppen. Wenn diese Daten als Trainingsgrundlage dienen, reproduziert der Algorithmus alte Diskriminierungsmuster, ohne dass es auf den ersten Blick sichtbar wird.
Beispiel: Ein Algorithmus könnte statistisch lernen, dass Personen mit niedrigem Einkommen in bestimmten Stadtteilen häufiger Kredite nicht zurückzahlen – und künftig systematisch Anträge aus diesen Regionen ablehnen, ohne individuelle Prüfung.
Unbewusste Diskriminierung – ein strukturelles Problem
Dieses Phänomen nennt sich algorithmic bias. Es beschreibt die Verzerrung in automatisierten Entscheidungsprozessen durch unausgewogene oder verzerrte Datensätze. Besonders problematisch: Die Diskriminierung bleibt oft unentdeckt, da KI-Systeme eine „Black Box“ darstellen. Selbst Entwickler können im Nachhinein oft nicht nachvollziehen, warum ein bestimmtes Ergebnis zustande kam.
Die Folgen können gravierend sein – insbesondere für Menschen mit Migrationshintergrund, atypischen Erwerbsbiografien oder ohne klassische Kreditgeschichte.
Transparenz und Regulierung: Die Politik reagiert
Angesichts dieser Herausforderungen fordert die Politik mehr Transparenz und Kontrolle. Die EU arbeitet mit dem sogenannten AI Act an einem Regelwerk, das besonders sensible KI-Anwendungen – wie Kreditvergabe – strengen Anforderungen an Fairness und Nachvollziehbarkeit unterwirft.
Auch in Deutschland diskutieren Verbraucherschützer und Datenschützer über die Notwendigkeit, algorithmische Entscheidungen nachvollziehbar zu machen – z. B. durch ein „Recht auf Begründung“ bei Kreditabsagen.
Fairer durch neue Datenquellen? Chancen und Risiken
Einige Startups und FinTechs argumentieren, dass gerade durch den Einsatz alternativer Datenquellen (z. B. Mietzahlungen, Mobilfunkverträge, Social-Media-Verhalten) mehr Menschen Zugang zu Krediten erhalten könnten, die sonst durchs Raster fallen. Besonders Menschen ohne Schufa-Eintrag oder mit dünner Kreditakte könnten profitieren.
Doch auch hier stellt sich die Frage: Wer entscheidet, welche Daten wie gewichtet werden? Und wie schützen wir sensible Informationen vor Missbrauch?
Was jetzt gefragt ist: Ethik, Aufsicht und Mitgestaltung
Um die Kreditvergabe durch KI wirklich fairer zu machen, braucht es mehr als nur Technologie. Ethikrichtlinien, interdisziplinäre Teams, unabhängige Audits und eine verpflichtende Prüfung auf Diskriminierung sollten zum Standard werden. Zudem muss der Mensch im Entscheidungsprozess nicht vollständig ersetzt, sondern ergänzt werden – gerade in Grenzfällen oder bei abweichenden Konstellationen.
Nur wenn wir die Chancen und Risiken der KI bewusst gestalten, kann aus automatisierter Kreditvergabe ein Werkzeug für mehr finanzielle Inklusion und gerechtere Entscheidungen werden.
KI kann fair sein – wenn wir es wollen
Die automatisierte Kreditvergabe durch KI ist kein Selbstläufer in Richtung Fairness. Ohne klare Regeln, ethische Standards und transparente Prozesse besteht die Gefahr, dass Diskriminierung digitalisiert und unsichtbar gemacht wird. Gleichzeitig bietet die Technologie enorme Chancen, um mehr Menschen Zugang zu Krediten zu ermöglichen – vorausgesetzt, sie wird verantwortungsvoll eingesetzt.
Die Zukunft der Kreditvergabe liegt nicht nur in Algorithmen, sondern auch in der Haltung, mit der wir sie gestalten.
Quelle: ARKM Redaktion